Ansprüche bei Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz
Im Zuge der Coronakrise stellen sich für Arbeitgeber und Arbeitnehmer aber auch für Selbstständige viele Fragen. Ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang sind aktuell Verdienstausfallentschädigungen bei Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz (lfSG). Bei einem Verbot der Ausübung der bisherigen Erwerbstätigkeit i.S.v. § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG oder einer vom Gesundheitsamt angeordneten häuslichen Quarantäne, d.h. Absonderung i.S.v. § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG, besteht nach § 56 IfSG ein Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls. Im Zuge der Coronakrise wurde zudem durch § 56 Abs. 1a IfSG auch ein weiterer Entschädigungsanspruch neu geregelt für den Fall, dass erwerbstätige Sorgeberechtigte, die wegen der Schließung von Einrichtungen zur Betreuung von Kindern oder Schulen ihre Kinder selbst zu Hause betreuen müssen und deshalb nicht arbeiten können, wegen eines dadurch erlittenen Verdienstausfalls eine Entschädigung erhalten. Ersetzt wird in diesem Fall jedoch nicht der gesamte Verdienstausfall. Die Betroffenen erhalten vielmehr als Entschädigung lediglich 67 Prozent des Verdienstausfalls für längstens sechs Wochen; für einen vollen Monat höchstens einen Betrag von 2.016 Euro. Dazu gibt die Regierung von Oberbayern auch ein Merkblatt heraus.
Wir haben über das Thema und den Inhalt des Merkblattes der Regierung von Oberbayern mit Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. jur. Jens Steinigen aus der Kanzlei Lenze & Partner aus Traunstein (www.lenze-rae.de) am Telefon gesprochen und ihm dazu einige Fragen gestellt, die er uns schriftlich beantwortet hat:
Frage: Wer zahlt die Entschädigungen nach dem Infektionsschutzgesetz aus?
Antwort Dr. jur. Jens Steinigen: Die Entschädigungen werden grds. von der „zuständigen Behörde“, in Oberbayern also von der Regierung von Oberbayern gezahlt. Bei Arbeitnehmern hat jedoch gem. § 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG der Arbeitgeber für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen, zunächst die Entschädigung für die zuständige Behörde auszuzahlen. Die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber dann auf Antrag aber von der zuständigen Behörde wieder erstattet. Selbständige müssen die Entschädigung selbst beantragen.
Frage: Gibt es für die Beantragung der Entschädigung oder den Erstattungsantrag Fristen?
Antwort Dr. jur. Jens Steinigen: Ja, und die sind ziemlich kurz. Denn nach § 56 Abs. 11 IfSG sind die Anträge innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder dem Ende der Absonderung bei der zuständigen Behörde zu stellen. Für den Fall des § 56 Abs. 1a IfSG, also für den Fall der Schließung von Betreuungseinrichtungen etc., wurde vom Gesetzgeber in der Eile scheinbar vergessen, Beginn und Dauer der Frist für die Antragstellung zu regeln. Für diese Fälle kann man derzeit also nur eine zeitnahe Antragstellung empfehlen.
Frage: Im Merkblatt der Regierung von Oberbayern heißt es u.a., dass der Arbeitgeber von der Regierung von Oberbayern nur dann eine Erstattung erhält, sofern der § 616 BGB im Arbeitsvertrag ausgenommen ist. Was hat es damit auf sich?
Antwort Dr. jur. Jens Steinigen: Im Rahmen des § 56 IfSG geht es bei Arbeitnehmern um den Ersatz eines Verdienstausfalls. Dieser entsteht jedoch nicht, wenn der Arbeitgeber zur Fortzahlung der Vergütung verpflichtet ist.
Entgeltfortzahlungsansprüche bei Arbeitsunfähigkeit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz kennt eigentlich jeder. Eine wichtige Vorschrift in diesem Zusammenhang ist aber auch § 616 BGB. Nach dieser Vorschrift verliert ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Bezahlung der Vergütung nicht dadurch, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird.
Typische Fälle solcher in der Person von Arbeitnehmern liegenden Leistungshindernisse i.S.v. § 616 BGB sind etwa familiäre Ereignisse wie z.B. der Tod naher Angehöriger oder die schwere Erkrankung eines nahen Angehörigen, der gepflegt werden muss. Ein solcher Fall kann aber eben z.B. auch eine vom Gesundheitsamt angeordneten häuslichen Quarantäne sein, vorausgesetzt natürlich immer, es handelt sich jeweils um eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“.
Ist für das konkrete Arbeitsverhältnis der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Fortzahlung der Vergütung gem. § 616 ausgeschlossen, z.B. durch einen Tarifvertrag oder eine Regelung im Arbeitsvertrag, was grds. zulässig ist, so erleiden Arbeitnehmer in den o.g. Fällen des § 56 IfSG einen Verdienstausfall, der dann in der im IfSG bestimmten Höhe zu ersetzen ist. Liegt ein Fall des § 616 BGB vor und ist dieser Anspruch des Arbeitnehmers nicht ausgeschlossen, entsteht schon gar kein zu erstattender Verdienstausfall. Auch der Arbeitgeber hat dann natürlich keinen Anspruch auf Erstattung der an den Arbeitnehmer ausgezahlten Beträge.
Grade die aktuelle Situation zeigt also, wie wichtig es für Arbeitgeber ist, Arbeitsverträge sorgfältig zu erstellen und z.B. den Anspruch nach § 616 BGB auf bestimmte Fälle zu beschränken oder auszuschließen.
Frage: Im Merkblatt der Regierung von Oberbayern heißt es dazu weiter, dass von einem Zeitraum von sechs Wochen auszugehen sei, für den der Arbeitgeber bei Maßnahmen nach § 56 IfSG die Vergütung nach § 616 BGB fortzuzahlen habe, wenn dieser Anspruch nicht ausgeschlossen ist.
Antwort Dr. jur. Jens Steinigen: Das ist so pauschal sicher nicht richtig. Im Kern geht es hier um die Frage, was als eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ i.S.d. § 616 BGB anzusehen ist.
Dazu ist zunächst einmal darauf hinzuweisen, dass der Anspruch nach § 616 BGB vollständig entfällt, wenn die Verhinderung länger als eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ dauert, also nicht erst ab Überschreiten dieser Zeitdauer (ständige Rechtsprechung seit BAG, Beschluss vom 18.12.1959 – GS 8/58). D.h., wenn bei einer durchgehenden Verhinderung i.S.d. § 616 BGB die „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ überschritten ist, besteht auch für den noch verhältnismäßig nicht erheblichen Zeitraum kein Anspruch mehr auf Fortzahlung der Vergütung nach § 616 BGB. Der Anspruch entfällt dann komplett. Somit ist die Aussage, dass der Arbeitgeber in jedem Fall für 6 Wochen zahlen müsse, schon im Ansatz falsch. Selbst wenn nämlich 6 Wochen als eine noch „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ angesehen werden könnten, entfällt der Anspruch aus § 616 BGB vollständig, wenn die Verhinderung dann tatsächlich länger als 6 Wochen dauert.
Ansonsten ist es eine Frage des Einzelfalls, was als „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ anzusehen ist. Dies hängt auch weiteren Faktoren, etwa vom Verhältnis der Verhinderungsdauer zur Gesamtdauer des bisherigen und gegebenenfalls auch noch voraussichtlichen Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses ab. Eindeutig geklärt ist das bislang nicht, so dass letztlich nur mit ungefähren Richtgrößen gearbeitet werden kann.
Dazu gibt es z.B. eine relativ alte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus 1978, nach der der Zeitraum einer Arbeitsverhinderung von bis zu 6 Wochen als nicht erheblich anzusehen sein soll bei einem Arbeitnehmer, gegen den ein „seuchenpolizeiliches Tätigkeitsverbot“ verhängt wurde, jedenfalls in einem länger andauernden unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnis (BGH, Urteil vom 30.11.1978 – III ZR 43/77).
In der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung wird demgegenüber in der Regel ein Zeitraum von max. 5 bis 10 Tagen als noch „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ angesehen. Für die Verhinderung wegen der Pflege eines erkrankten Kindes unter acht Jahren hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) z.B. eine Obergrenze von fünf Tagen als noch verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit in diesem Sinne angesehen (BAG, Urteil vom 19.04.1978 – 5 AZR 834/76). Für die Betreuung eines sogar gesunden Kindes aus meiner Sicht nichts anders gelten, d.h. kein längerer Zeitraum in Frage kommen.
Aus meiner Sicht wird man also bei z.B. bei einer häuslichen Quarantäne, die ohnehin in der Regel nur für 2 Wochen angeordnet wird, evtl. noch von einer „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ ausgehen können, auch wenn das schon fraglich ist. Bei einer Arbeitsverhinderung wegen der notwendigen Betreuung von Kindern, die wegen der Schließung die Kita nicht besuchen können, wird man jedoch bei mehr als 5 Tagen kaum noch davon ausgehen können, dass die davon Betroffenen gegen ihren Arbeitgeber einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung nach § 616 BGB haben. D.h. dann aber auch, dass der Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung bzw. Erstattung nach § 56 IfSG besteht, egal, ob der Anspruch nach § 616 BGB nun im Arbeitsvertrag ausgeschlossen ist oder nicht.
Wichtig für Arbeitgeber ist somit, dass der Erstattungsantrag zeitnah gestellt wird und man sich durch die Hinweise im Merkblatt von einer Antragstellung abhalten lässt, selbst wenn der Anspruch nach § 616 BGB im Arbeitsvertrag nicht ausgeschlossen sein sollte.